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Hitler-Meme im Klassenchat – die schleichende Radikalisierung unserer Kommunikation

Komplexe politische und in der Fortsetzung oft auch kriegerische Auseinandersetzungen machen die Welt unübersichtlich und bedrohlich. Verschwörungstheorien, gruppenbezogener Hass und Abschiebungsfantasien bieten hier ein Ventil und einen einfachen Ausweg. Schleichend wird dabei der Bereich des Denk- und vor allem Sagbaren ausgedehnt. Digitale Kommunikations- und Vernetzungsplattformen mit ihren dunklen Ecken und Echokammern werden gekonnt als Agitationsräume genutzt – und plötzlich taucht ein Hitler-Meme im Klassenchat auf.

Brandstiftung war nicht nur gestern - Foto: Connor Danylenko - pexels.com

Rechtsextreme Inhalte in Polizei- und Feuerwehr-Chat lassen wir mit angemessenem Entsetzen hinter uns, aber wenn unser Kind uns ein Hitler-Bild mit dem Spruch „Du bist lustig, Dich vergase ich zuletzt“ unter die Nase hält, ist Schluss mit lustig. Dass solche Memes kursieren, sollte uns eigentlich nicht verwundern, die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gerade erst deutlich gezeigt, wo wir stehen. 6,6 % der Befragten befürworten beispielsweise eine rechtsgerichtete Diktatur mit starkem Führer und einer einzigen Partei. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges: 30 % stimmen der Aussage zu „Die regierenden Parteien betrügen das Volk“, 25 % finden unser Land gleiche mehr einer Diktatur als einer Demokratie und immerhin 13 % können es rechtfertigen, wenn Wut gegen Politikerinnen in Gewalt umschlägt. Insgesamt vertreten laut der Mitte-Studie 38 % der Befragten verschwörungsgläubige, 33 % populistische und 29 % völkisch-autoritär-rebellische Positionen.

„Das wird man doch noch sagen dürfen“

Die Phrase „Das wird man doch noch sagen dürfen“ hat in den letzten Jahren beharrlich den gesellschaftlichen Diskurs verschoben. In bewährter Opfer-Täter*innen-Umkehr wird das Eintreten gegen rassistische, sexistische, antisemitische, trans- oder homofeindliche Äußerungen als Cancel-Culture, als Versuch, Anders-Denkende mundtot zu machen, diffamiert. Prominente, die sich gegen rechts positionieren – wie jüngst etwa Helene Fischer – sehen sich unversehens einem rechten Shitstorm ausgesetzt.

Die Lage ist mehr als alarmierend. Umso wichtiger ist es, dem alltäglichen Auftauchen menschenverachtender Inhalte entschieden entgegen zu treten. Am Anfang stehen oft Entsetzen und Ratlosigkeit. Nicht wenige Eltern retten sich auch in ein Relativieren und erklären ihre Kinder gewissermaßen für unschuldig. Schuld ist in der Tat keine hilfreiche Kategorie in solchen Fällen, aber es geht um Verantwortungsübernahme von denjenigen, die solche Inhalte posten und von denjenigen, die sie lustig finden, teilen oder auch schlicht ignorieren – und nicht zuletzt von Eltern und Fachkräften, die Kindern und Jugendlichen helfen müssen, einen Kompass für ein friedliches Miteinander zu entwickeln.

Türöffner Social Media

Soziale Netzwerke entziehen sich oft der Aufmerksamkeit von Erwachsenen, sie sind ein Experimentierfeld vieler Jugendlicher; folgerichtig sind gerade hier verstärkt Extremist*innen unterwegs. Während einiges davon amateurhaft eher abschreckt, gibt es zunehmend professionell gestaltete Angebote auf YouTube, Instagram und TikTok, die – unterschiedlich subtil – extremistische Inhalte propagieren. Jugendliche, die in jeder Hinsicht auf der Suche sind – auch im Hinblick auf ihre weltanschauliche Identität – sind eine perfekte Zielgruppe, um neue Anhänger*innen zu rekrutieren.

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Ist ein Anfang erst mal geschafft, trägt der Algorithmus dazu bei, die Inhalte konsequent auf der Basis der bisherigen Likes und Sehzeiten in eine Richtung zu schieben. Social Media wird vor allem von jüngeren Nutzer*innen nicht nur zu Unterhaltung, sondern auch als wichtige Informationskanäle genutzt, sodass es für sie wenig Gegenstimmen gibt.

Häufig setzen rechte Influencerinnen auf positiv besetzte Emotionen, vermitteln Stolz und Zusammengehörigkeit, verschleiern ihre extremen Botschaften durch vermeintliche witzige Inhalte etwa in Form von Memes oder unauffälligen Hashtags wie GRWM (Get ready with me). Viele geben sich kämpferisch, Influencer präsentieren sich stereotyp-männlich und oft auch gewaltbereit, Influencerinnen tendenziell stereotyp-weiblich. Da die Community-Richtlinien eindeutig rechtsextremistische Inhalte verbieten, werden etwa Emojis in den Farben der Reichsflagge eingesetzt. In vielen Fällen dienen soziale Netzwerke und insbesondere TikTok als Türöffner. Um eine Weltanschauung zu verfestigen und eine entsprechende Vernetzung voranzutreiben, werden Nutzer*innen in geschlossene Kommunikationsräume in Messengern wie Telegram weitergeleitet. Hier entziehen sich die Inhalte wesentlich effektiver einer Regulierung von außen.

Es ist also wenig verwunderlich, wenn zunehmend auch in unverdächtigen Chats, von Klassen, Vereinen oder einfach Freundschaftsgruppen, bedenkliche Inhalte auftauchen. Das ist besonders gefährlich, weil diese Inhalte dann von Menschen gepostet werden, die in vielen Fällen vertraut sind und nicht unbedingt als extremistisch wahrgenommen werden. Häufig sind vor allem Jüngeren die Zusammenhänge gar nicht klar. Sie können nicht einordnen, welche rechten Codes und Symbole zitiert und eingeschmuggelt werden, sind nicht dafür gewappnet, dass der freundliche Spongebob plötzlich in einem Migrations-feindlichen Meme auftaucht und bleiben oft an der unverfänglich wirkenden Oberfläche hängen. So schleichen sich Botschaften ein, die unbemerkt zu einer Radikalisierung beitragen können.

Es (be)trifft alle

Um als erwachsene Bezugsperson überhaupt erst auf solche problematischen Inhalte aufmerksam zu werden, braucht es Informant*innen. Wenn es für einen Klassenchat klare Regeln und Moderator*innen gibt, ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass nicht alles im Verborgenen abläuft. Neben einer allgemeinen Medienkompetenz brauchen Kinder und Jugendliche vor allem Ansprechpersonen, die sie nicht verurteilen und die ihnen helfen, die verborgenen Botschaften zu entschlüsseln und die Konsequenzen solcher Gesinnungen anschaulich zu machen.

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Es wird in nahezu jeder Chatgruppe außerhalb der extremistischen Bubble Menschen geben, die von rechter Diffamierung und Diskriminierung betroffen sind. Ein wesentlicher Bestandteil rechter Ideologien ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die sich über den Ausschluss des „Anderen“ definiert. Insofern erzeugen solche Inhalte auch in Gruppen wie Klassenchats die Erfahrung, – etwa bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund – nicht dazu zu gehören. Nicht selten übersehen Kinder und Jugendliche, dass solche lustigen Inhalte und die dahinter versteckten Überzeugungen auf konkrete Personen in ihrem Umfeld zielen.

Historische Einordnung und Widerspruch

Eine Gegen-Strategie ist es, zum einen historisch aufzuarbeiten, welche Folgen Rechtsextremismus für alle Menschen hat, zum anderen aber auch zu verdeutlichen, dass wir alle – je nach Perspektive – potenziell zu den Anderen gehören. Widerspruch innerhalb des Chats muss unterstützt werden, und eine anonyme Abfrage kann verdeutlichen, dass rechte Meinungen nicht den Mainstream abbilden, sondern einfach besonders laut oder perfide sind. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung muss Kindern und Jugendlichen zudem klar werden, dass es sich oftmals um strafrechtlich relevante Inhalte handelt.

In der konkreten Situation ruhig zu bleiben, einzelne nicht zu verurteilen und in die inhaltliche Auseinandersetzung zu gehen, kann helfen, die „Selbstheilungskräfte“ eines Chats zu aktivieren. Trotzdem ist es wichtig, Kontexte herzustellen und die Medienkompetenz aller Beteiligten zu stärken. Wir haben für Sie einige Anlaufstellen für konkrete Handlungsimpulse und Hintergrundrecherchen zusammengestellt.

Was machen wir denn jetzt?! – Zum Umgang mit rechten Inhalten in Klassenchats – Handreichung des Bundesverbands mobile Beratung

Jan Rau: Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? – Bundeszentrale für politische Bildung

Lara Franke, Daniel Hajok: TikTok und Rechtsextremismus. Neue Formen der Propaganda auf einer kind- und jugendaffinen Plattform – Bundeszentrale für politische Bildung

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Rechtsextremismus im Internet
– Hate Aid

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geschrieben von: Meike Adam

beschäftigt sich seit mahr als 20 Jahren beruflich mit dem Themenkomplex Medien, als Wissenschaftlerin, Webschaffende und medienpädagogische Referentin. Durch zahlreiche Elternabende, Fortbildungen für Lehrer_innen und Unterrichtseinheiten mit SuS weiß sie, wo es brennt. Mit 3 Kindern ist sie zudem alltägliche medienpädagogische Praktikerin.

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