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Don’t blame the gamer

Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle hat Innenminister Seehofer ein erstaunliches Gefahrenpaket geschnürt, bestehend aus Rechtsextremismus, Antisemitismus und Videospielen. In Kanada verklagen Eltern den Spieleentwickler Epic Games, der mit Fortnite eines der beliebtesten Videospiele auf den Markt gebracht hat. Unterwandern Games unsere Gesellschaft?

Was fesselt uns an den Bildschirm?

Seehofer und die klagenden kanadischen Eltern sind beispielhaft für zwei erbitterte Debatten, die um Videospiele geführt wird: Zum einen die – vor allem in den 2000er Jahren extrem präsente – Killerspieldebatte und zum anderen die Frage, ob Games süchtig machen können bzw. noch genauer formuliert, ob sie so entwickelt werden, dass sie süchtig machen sollen.

Computerspielsucht anerkannt

Die Frage nach dem Suchtpotenzial von Videospielen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damit beantwortet, dass sie Computerspielsucht 2019 in die elfte Version ihres Klassifikationssystems für medizinische Diagnosen aufgenommen hat. Sie wird darin den stoffungebundenen Süchten (Verhaltenssüchten) zugerechnet. Damit wird sich ab dem nächsten Jahr vor allem in Bezug auf Diagnose- und Therapiemöglichkeiten einiges ändern. Auch wenn es dagegen massiven Protest u.a. von Seiten der Spieleentwickler gegeben hat, besteht die Hoffnung, dass Betroffenen in Zukunft deutlich besser geholfen werden kann.

Die Frage, die sich an die Klage gegen Epic Games knüpft, geht allerdings noch weiter: Die Eltern zweier Kinder werfen der Firma vor, ihr Spiel Fortnite ganz bewusst und mit Hilfe von Psychologinnen so entwickelt zu haben, dass es süchtig macht. Epic Games – so die Argumentation – hätte daher einen Warnhinweis anzeigen müssen, ähnlich dem bei Zigaretten. Schon lange gibt es Vorwürfe, Spiele und auch andere digitale Angebote seien bewusst so gestaltet, uns ständig am Bildschirm zu halten. Die Antwort von Epic Games steht noch aus. Wir dürfen also gespannt sein, wie es juristisch weitergeht.

Ich game, du gamest, wir gamen

Unabhängig von dem konkreten Fall müssen wir uns mit dem Thema Games auseinandersetzen. Weltweit spielen mehr als 2 Milliarden Menschen, mit E-Sports werden laut statista im laufenden Jahr mehr als 1 Milliarde US-Dollar umgesetzt, Tendenz steigend. Bei der Gamescom in Köln, der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele, waren rund 370.000 Besucherinnen. Mehr als 250 Millionen Menschen sind bei Epic Games als Fortnite-Spieler registriert. Wir reden also nicht von einem gesellschaftlichen Randphänomen, das nur nerdige männliche Teenager betrifft, die sich pubertätsbedingt aus dem echten Leben zurückziehen wollen. Vielmehr handelt es sich um eine große und heterogene Zielgruppe, die von einem stetig wachsenden Wirtschaftszweig gerne bedient wird.

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Die von Horst Seehofer gerade mit den Worten „Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag“ reanimierte Killerspieldebatte greift mit Sicherheit zu kurz. Trotzdem müssen wir uns die Frage stellen, welchen Einfluss Inhalte, Spiellogiken und Rollenvorbilder aus Videospielen insbesondere auf Jugendliche ausüben können. Die Tatsache, dass auch rechtsextrem orientierte Jugendliche vor den Bildschirmen sitzen, belegt dabei allerdings wenig bis nichts. Allein in Deutschland spielen rund 34 Millionen Menschen Computerspiele. Darunter finden sich mit Sicherheit alle politischen Orientierungen.

Bedenklich ist allerdings, dass der Attentäter – wie andere vor ihm auch – seine Tat live gestreamt hat. Er hat so reale Gewalt wie ein Event inszeniert und gamifiziert. In Zeiten, in denen die USA quasi per Twitter-Tweets regiert werden und schon die Aufführung in der Kita gefilmt und online geteilt wird, scheint die digitale Spiegelung des echten Lebens Realität zu bezeugen. Nach dem Motto: Was ich nicht aufgenommen oder digital geteilt habe, ist auch nicht real. Das Streamen von extremen Gewalttaten treibt das auf die Spitze – und ja, die Inszenierung erinnert an gewalthaltige Computerspiele.

Was auf dem Spiel steht

Wir sind aktuell Zeuginnen eines extrem schnellen Wandels in der Medienlandschaft. Heute sind es im überwiegendem Maße Wirtschaftskonzerne, die unsere medialen Inhalte produzieren und verkaufen und dabei orientieren sie sich an Marktanteilen und Gewinnen und nicht an Bildungs- oder Erziehungsaufträgen. Konzerne wie Epic Games, Netflix oder Facebook haben mit ihren kommerziellen Angeboten einen großen Einfluss – vor allem auf junge Menschen. Es geht also nicht nur um die Frage nach den Auswirkungen von Egoshootern und anderen gewaltbetonten Spielen, sondern darum, unter welchem Einfluss Weltbilder entstehen.

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Dabei wirken aufgeheizte Debatten wie die um ‚Killerspiele‘ kontraproduktiv, die nicht nur die Gamesindustrie verurteilen, sondern die Gamer gleich mit. So entstehen Gräben, über die hinweg kaum noch miteinander gesprochen wird. Wer lässt sich schon gerne als irgendwie gestörte(n) Zeitgenossin oder potenzielle(r) Attentäter*in abstempeln, nur weil er oder sie Egoshooter spielt? Das ewige Klagelied, dass die Jugend durch Medien verroht, hilft nicht weiter. Wie immer – Sie ahnen es schon – hilft nur hingucken, sich einmischen und mitentscheiden.

Es ist zu einfach, die Gamesindustrie als allein Schuldigen auszumachen. Richtig ist zu fragen, warum gewalthaltige Spiele entwickelt werden, genauso richtig ist es aber auch zu fragen, warum diese Spiele massenhaft konsumiert werden. Hier greift dann im Zweifel auch die Marktmacht der Konsument*innen: Was nicht gekauft oder genutzt wird, verschwindet vom Markt. Was im Kleinen der alltäglichen Medienerziehung beginnt, setzt sich in gesellschaftlichen Entwicklungen fort.

#games #gesellschaft

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geschrieben von: Meike Adam

beschäftigt sich seit mahr als 20 Jahren beruflich mit dem Themenkomplex Medien, als Wissenschaftlerin, Webschaffende und medienpädagogische Referentin. Durch zahlreiche Elternabende, Fortbildungen für Lehrer_innen und Unterrichtseinheiten mit SuS weiß sie, wo es brennt. Mit 3 Kindern ist sie zudem alltägliche medienpädagogische Praktikerin.

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