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Eingewandert ins digitale Neuland: Sind wir Eltern das eigentliche Problem?

Wir reden viel über ‚digital natives‘ – und meinen damit jene Generation, die von Anfang an mit digitalen Medien aufgewachsen ist. Deren Verhalten scheint uns oft recht seltsam, z.B. wenn sie stundenlang gekrümmt in ein kleines Display starren. Es wird aber Zeit, auch einmal über die Generation der ‚digital immigrants‘ zu sprechen. Es spricht einiges dafür, dass die Medienmisere hier anfängt.

Beschweren bringt uns nicht weiter.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindheit und Jugend, in der Sie sich oft genug weg gewünscht haben von Familienfeiern, Hausaufgaben oder ähnlichen langweilenden Situationen? Und alles, was Sie kommunikativ mit anderen verbinden konnte, war ein schnurgebundenes Telefon – im besten Fall im Flur platziert, im schlimmeren mitten im Wohnzimmer. Privatsphäre gleich null und offenes Sprechen nicht angesagt. Was hätten Sie für ein Handy oder sogar WhatsApp gegeben?

Alle, die heute Erziehungsverantwortung tragen und sich damit auch abmühen, Kindern und Jugendlichen einen bewussten und kompetenten Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln, sind frühestens als Jugendliche in die Welt neuer Kommunikationsmöglichkeiten eingetaucht, viele erst als Erwachsene. Als Angela Merkel 2013 beim Besuch des damaligen US-Präsidenten Obama den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland!“ in die Öffentlichkeit entließ, war die Häme groß. Hinterwäldlerisch kam das rüber, Grund genug für alle Hipster, sich auszuschütten vor Lachen. Vielleicht hat Merkel damit aber auch etwas Wahres gesagt – über einen gefühlten Zustand. Denn wem erscheint die digitale Welt mit ihrem ständigen Wandel nicht immer wieder wie Neuland?

Junge Entdecker und alte Nörgler

Längst haben viele das Gefühl, nicht mehr mitzukommen, nur noch virtuelle Rücklichter zu sehen. Die Reaktion darauf ist häufig Ablehnung: Neue Apps, Kommunikationskanäle oder technische Entwicklungen werden als überflüssig, nutzlos oder sogar gefährlich abgetan. In der Medienerziehung schlägt diese emotionale Gemengelage dann in das Gefühl von Kontrollverlust und in Ängste um. Viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihr Kind mit den Möglichkeiten überfordert ist, zum Opfer oder auch zum Täter wird.

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Der Ausgangspunkt des Medien-Dilemmas liegt also nicht im Verhalten der Kinder und Jugendlichen, die sich im Umgang mit den neuen Möglichkeiten schlicht wie Kinder und Jugendliche verhalten: Sie probieren mit Entdeckerlust Neues aus, begeistern sich und ziehen auch wieder gelangweilt weiter. Demgegenüber stehen Eltern und professionelle Erziehungspersonen, die sich selbst oft als wenig kompetent im Umgang mit neuen Medien einschätzen und so auch keine souveränen Ansprechpartner_innen sind. Dabei übersehen sie häufig, dass viele Probleme nicht in mangelndem technischem Wissen wurzeln, sondern auf fehlendes Hintergrundwissen oder eingeschränkte Sozialkompetenz zurückgehen.

Ein Klassenchat wird nicht zur Mobbing-Zone, weil die Teilnehmenden nicht wüssten, wie man WhatsApp bedient, sondern weil ihnen die Grundlagen der Netiquette fehlen, weil niemand ihnen hilft, Regeln zu entwickeln, wie sie in einem Chat miteinander umgehen. Genau hier sind die digitalen Immigrants gefragt, die in der Lage sein müssten, auch unter veränderten Rahmenbedingungen vernünftig miteinander zu kommunizieren. Ein Blick in die Kommentarspalten auch seriöser Online-Angebote oder in Facebook-Gruppen, in denen sich mittlerweile häufig eben jene Ü-30-Generation tummelt, lässt diese Hoffnung allerdings schwinden.

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Hinsehen statt überwachen

Es wird also Zeit, dass alle Ü-25, die den Einzug von Internet, E-Mail, SMS, Smartphone und sozialen Medien in unseren Alltag ganz oder zumindest teilweise erlebt haben, endlich einen erwachsenen Umgang damit finden, um dann in einem zweiten Schritt als solche Erwachsene auch wieder in die Medienerziehung einsteigen zu können. Wir dürfen den einzigen Nutzen von Smartphones in der Erziehung nicht darin sehen, unsere Kinder zu überwachen, sie in einen digitalen Laufstall zu stecken, weil wir die Gefahren des echten Lebens noch mehr fürchten als die des digitalen. Vielmehr müssen wir anfangen hinzusehen, unsere Kinder zu begleiten und nicht mehr länger Verbote als Königsweg der Medienerziehung begreifen.

#gesellschaft

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geschrieben von: Meike Adam

beschäftigt sich seit mahr als 20 Jahren beruflich mit dem Themenkomplex Medien, als Wissenschaftlerin, Webschaffende und medienpädagogische Referentin. Durch zahlreiche Elternabende, Fortbildungen für Lehrer_innen und Unterrichtseinheiten mit SuS weiß sie, wo es brennt. Mit 3 Kindern ist sie zudem alltägliche medienpädagogische Praktikerin.

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