Nur der Kühlschrank war Zeuge …
Unser digitaler Fußabdruck übt auf Sicherheitsbehörden große Anziehungskraft aus. Sprachassistenten wie Alexa und Siri, aber auch Fernseher oder Kühlschränke, die mit dem Internet verbunden sind, sammeln Daten, denen laut Beschlussvorlage des schleswig-holsteinischen Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU) „eine immer größere Bedeutung“ bei der Aufklärung von Kapitalstraftaten und terroristischen Bedrohungslagen zukommt. Diese digitalen Spuren sollen per richterlicher Anordnung ausgewertet werden dürfen, um dann vor Gericht als Beweismittel verwendet zu werden. Der Staat greift eben überall dort Daten ab, wo sie anfallen. Auch, wenn Alexa im Schlafzimmer steht.
Bei der Frage, ob das zulässig ist oder nicht, stehen sich zwei Fronten gegenüber. Auf Seiten der Befürworter*innen werden sicherheitspolitische Argumente angeführt: Nur so kann Kriminalität wirksam bekämpft werden! Die Reizwörter „Kapitalverbrechen und „Terrorabwehr“ sollen als Freifahrtschein dienen. Auf der anderen Seite stehen datenschutz- und/oder verfassungsrechtliche Bedenken, z.B. der Verstoß gegen Art. 13 GG „Die Wohnung ist unverletzlich.“
Nun ist das mit dem Datenschutz aber so eine Sache. Niemandem, der Siri oder Alexa nutzt, dürfte klar sein, was Amazon, Apple oder Google wirklich mit den Daten anstellen. Die Stiftung Warentest warnt sogar ausdrücklich vor ihnen: Alle Anbieter stehen mit Blick auf die Privatsphäre in der Kritik, selbst grundlegende Prinzipien des europäischen Datenrechts würden nicht umgesetzt.
Kürzlich konnte man etwa lesen, dass Amazon Tausende Mitarbeiter*innen beauftragt hatte, Sprachaufzeichnungen auszuwerten, selbstverständlich nur, um den Assistenten zu verbessern. Auch das ist nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme.
Sprachdaten können allerdings bereits jetzt entfernt werden, zukünftig wohl auch per Befehl: „Alexa, lösche alles, was ich Dir heute gesagt habe.“ Dieser Satz dürfte dann auch für alle Kapitalverbrecher*innen zur abendlichen Gewohnheit werden: das Aus für das Abgreifen einer Sprachaufnahme als Beweismittel.
Früher hieß das Lauschangriff
Selbst wenn dieses Schlupfloch besteht, dürfen verfassungsrechtliche Bedenken nicht einfach hintenanstehen. Allzu oft besteht die Tendenz, sich über das Grundgesetz mal eben hinwegsetzen zu wollen. Man denke an den sogenannten großen Lauschangriff vor mehr als zwanzig Jahren, bei dem es um akustische Wohnraumüberwachung (durch sogenannte Wanzen) ging.
Der große Lauschangriff schien schon damals ein Allheilmittel zur Verbrechensbekämpfung zu sein. Unter der Kohl-Regierung wurde Artikel 13 nach heftigen Diskussionen geändert: Technische Mittel sind danach im Falle des Verdachts besonders schwerer Verbrechen als Mittel zur akustischen Wohnraumüberwachung nach vorheriger richterlicher Anordnung erlaubt.
Doch 2004 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerf) – 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99, dass zwar nicht jede akustische Überwachung von Wohnraum den Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG verletze, jede darauf gerichtete gesetzliche Ermächtigung aber „Sicherungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde enthalten“ müsse.
Wenn die akustische Wohnraumüberwachung zur Erhebung von Informationen aus dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung führe, so das BVerfG, müsse sie abgebrochen werden und Aufzeichnungen müssen gelöscht werden; jede Verwertung solcher Informationen sei ausgeschlossen.
Freiwillig verwanzt
Diese Vorgabe des BVerfGs ist aber bei der Frage nach dem Datenzugriff auf „smarte“ Geräte oder Sprachassistenten so aktuell wie damals. Mit dem gravierenden Unterschied, dass seinerzeit eine „Wanze“ installiert werden musste, während sie heute in Form von Alexa, Siri und Co. freiwillig angeschafft und von den Sicherheitsbehörden (aus-)genutzt werden. Es wird ihnen auch leicht gemacht: Sogar die Hürde des Anbringens einer Wanze in der Wohnung entfällt und technische Probleme bei der Übertragung sind – wie sie damals oft auftraten – nicht zu befürchten.
Und noch ein Unterschied, der einen stärkeren Eingriff in die Rechtssphäre der Betroffenen als die Wanze von anno dazumal darstellt: Hat diese Gespräche erst nach der Installation aufgezeichnet, so kann man nun die digitalen Assistenten auch aus der Vergangenheit plaudern lassen.
Was nun? Soll man auch als Nichtkriminelle/r allen digitalen Geräten entsagen, sich von Alexa, Siri und Co. trennen? Das wird wohl nicht die Lösung sein, doch sicher sollte man sich bewusst sein, dass man längst nicht mehr die eigenen Daten unter Kontrolle hat.
Erstaunlich eigentlich, wie wenig Widerstand das hervorruft.