Missbrauchsbeauftragter plädiert für Schulpflichtfach Medienkompetenz
Seit knapp zwei Jahren setzt sich das Bundeskriminalamt (BKA) mit einem bemerkenswerten Phänomen auseinander, der Verbreitung kinderpornographischer Bilder durch Kinder und Jugendliche, manchmal sogar im Klassenchat und unterlegt mit lustigen Bemerkungen oder Emojis.
Allerdings hört da der Spaß auf: Immer wieder werden Verfahren gegen Minderjährige eingeleitet. Einschlägiger Paragraf ist 184b des Strafgesetzbuchs (StGB). Zuletzt wurden im Rahmen von Wohnungsdurchsuchungen 21 Verdächtige im Alter zwischen 14 und 26 Jahren ausfindig gemacht, die Videos, die zum Teil schwere sexuelle Gewalt gegen Kinder zeigten, über soziale Netzwerke verbreitet haben, berichtet die Tagesschau anlässlich der Pressekonferenz des BKA zum Thema Kinderpornografie.
Dass das keine Bagatelldelikte sind, dürften die meisten Erwachsenen begreifen. Für Minderjährige scheint das dagegen nicht ohne weiteres auf der Hand zu liegen. Mit Sprüchen oder Emojis untermalt, werden die Bilder oder Videos oft als lustig empfunden. Das BKA unterscheidet die jugendlichen Absender deshalb grundsätzlich von Tatverdächtigen mit pädosexueller Motivation.
Kinderpornos verschicken macht cool?
Diejenigen, die auf dem Schulhof solche Fotos verbreiteten, würden als besonders mutig und besonders wissend gelten, so der Verein Dunkelziffer, der sich für sexuell missbrauchte Jugendliche einsetzt, in seinem Statement. Oft würden eigene Gefühle beim Betrachten verstörender Bilder unterdrückt und diese aus Verunsicherung als lustig interpretiert.
Der Verein fordert ein Zusammenwirken aller, die für die Entwicklung von Kindern verantwortlich sind, um diese Entwicklung in den Griff zu bekommen.
Das Netz vergisst nichts
Das ist auch notwendig, denn das Posten und Weiterleiten kinderpornografischen Materials kann die Betroffenen ein Leben lang verfolgen und belasten, wenn es im Netz eine nicht mehr nachvollziehbare, nahezu unendliche Reichweite erhält.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, plädiert für die Einführung eines Pflichtfachs „Medienkompetenz“ an Schulen: „Was wir brauchen, ist beides: eine vernünftige Einführung in die Chancen und Möglichkeiten digitaler Medien – und zugleich eine altersgerechte und wiederholte Aufklärung über die Risiken und zwar jenseits von Katastrophenszenarios.“ – Wir sind dabei!
Sei sozial – auch im sozialen Netz
Medienkompetenz bedeutet aber nicht, jede neueste Technik oder jedes neueste Spiel zu kennen. Es bedeutet, sich dafür zu interessieren, was Kinder und Jugendliche im Netz tun! Und Fakt ist: Wie wir uns im sozialen Netz sozial verhalten, wird viel zu wenig thematisiert. Das gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für uns Erwachsene. Werden Vorfälle bekannt wie die geschilderten, ist die Bestürzung groß – und Hilflosigkeit macht sich breit.
Umdenken erwünscht
In der gewaltfreien Kommunikation (GfK) gibt es einen interessanten Ansatz, der von starrem Entsetzen in Aktion bringen kann: Er besagt, dass Menschen darauf ausgerichtet sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und dass es unterschiedliche Strategien gibt, dies zu tun. Wenn es also Minderjährigen darum geht, beim Verschicken kinderpornographischer Bilder als mutig oder cool zu gelten, dann können etwa Bedürfnisse nach Wertschätzung, Nähe oder Gemeinschaft dahinter stehen. Bedürfnisse, die wir alle haben.
Jenseits von Urteilen und Bewertungen gibt es einen Weg
Das Verschicken kinderpornographischer Bilder oder Videos ist „nur“ die Strategie, diese Bedürfnisse zu erfüllen, genauer gesagt: nur eine Strategie von vielen und zudem eine, die anderen schadet. Da muss nach Alternativen gesucht werden. Mit dieser Denkweise wird Handlungskompetenz gefördert statt Hilflosigkeit zementiert. Es geht nicht mehr um gut und böse, sondern um die Frage: Wie können diese Bedürfnisse auf eine andere Art erfüllt werden? Und natürlich zuerst: Welche Bedürfnisse habt Ihr überhaupt? Wie geht es Euch, wenn sie erfüllt werden? Wie fühlt Ihr Euch, wenn nicht?
Die gewaltfreie Kommunikation gibt Werkzeuge an die Hand, um friedlich zu kommunizieren. So bieten sich für Eltern, Lehrer*innen und Pädagog*innen neue Ansatzpunkte in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, für die sie Verantwortung tragen. Damit sich auch im Netz Empathie, Sozialkompetenz und Respekt entwickeln können.
Mehr zur praktischen Anwendung und den grundlegenden Ansätzen der gfK
Hier gibt es Unterstützung
Beratung und Unterstützung bei sexueller Gewalt finden Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen, beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, Tel. 0800 22 55 530 (kostenfrei und anonym) und auf dem Hilfeportal www.hilfeportal-misssbrauch.de mit einer umfangreichen Datenbank zu Hilfeangeboten vor Ort.
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