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Facebook und Hass-Posts: Löschen verboten?

In die Diskussion um die Verantwortung sozialer Medien für gepostete Hassbeiträge kommen in zwei BGH-Grundsatzurteilen rechtliche Aspekte zum Tragen, die bislang hintenanstanden. Nämlich, werden die Rechte der Nutzer*innen, die Hasspostings veröffentlichen, ausreichend geschützt und darf Facebook in seinen Gemeinschaftsstandards (und nicht das Strafgesetzbuch) bestimmen, was als Hass-Post gilt?

Wer löscht, wenn's brennt? Foto von Rasa Kasparaviciene von Pexels

Der BGH befasst sich in den Entscheidungen* mit den weltweit gültigen „Gemeinschaftsstandards“, mit denen Facebook das Veröffentlichen diskriminierender Posts vermeiden will, wobei – und das ist wichtig – nicht alle nach deutschem Recht strafbar sind. Kurz gesagt, kam der Bundesgerichtshof (BGH) nun zum Ergebnis, dass Facebook in seinen „Gemeinschaftsstandards“ über unsere gesetzlichen Anforderungen hinausgehen darf, also kann Facebook schon dann von einer Hassrede ausgehen, wenn sie strafrechtlich noch nicht relevant ist. Es ist also in Ordnung, wenn Facebook in seinen Standards schreibt, dass Hassrede nicht toleriert wird und entsprechende Beiträge gelöscht werden.

Nicht so einfach ist das Löschen des Posts oder Sperren des Accounts aufgrund der „Gemeinschaftsstandards“, denn sie benachteiligen die Nutzer*innen unangemessen. Zu diesem Ergebnis kam der BGH nach einer Abwägung der betroffenen kollidierenden Grundrechte, nämlich dem Recht auf Meinungsfreiheit der Postenden (Art. 5 GG) und dem Recht auf Berufsausübung (Art. 12 GG) auf Seiten Facebooks. Die Folge: Wird ein Post als Hassrede gelöscht, muss der/die Nutzer*in nachträglich die Gelegenheit zum Widerspruch erhalten. Soll der Account gesperrt werden, müsse vorab eine Anhörung stattfinden.

Dementsprechend hat der BGH die Nutzungsbedingungen von Facebook („Gemeinschaftsstandards“) für unwirksam erklärt, eben weil sie den postenden Nutzer*innen keine Möglichkeit zum Widerspruch (oder zur vorherigen Anhörung) einräumen. Facebook kann daher bis auf weiteres keine Hass-Postings mehr löschen, die nur gegen die „Gemeinschaftstandards“ von Facebook verstoßen und ggf. nicht strafbar sind. Dazu muss Facebook seine Nutzungsbedingungen ändern.

Worum es ging

Der Rechtsstreit, mit dem die Nutzer*innen gegen das Löschen der Beiträge bzw. das Sperren ihrer Konten vorgegangen sind und an dessen Ende eine BGH-Entscheidung stand, entzündete sich an diesen Posts*:

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Im ersten Fall (III ZR 179/20) lautete der Eintrag: „Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.“

Der zweite Fall (III ZR 192/20) war ein Kommentar zu einem Video, das einen Mann (mit Migrationshintergrund) zeigte, der nicht durch eine Polizistin kontrolliert werden wollte, weil sie eine Frau war. Er lautete: „Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN“

Konkret bedeutet die Entscheidung des BGH, dass Facebook diese (wirklich üblen) Beiträge wiederherstellen muss und sie (zumindest im ersten Fall) nicht erneut löschen oder die Konten sperren darf. Was das Urteil des BGH aber nicht sagt, ist, ob die beiden umstrittenen Posts auch dann hätten gelöscht und sanktioniert werden dürfen, wenn die Nutzer*innen vorher ausreichend angehört worden wären. Das wird die Gerichte sicher zukünftig einmal beschäftigen.

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Und jetzt?

Strafbare Postings dürfen weiterhin gelöscht werden. Doch wer entscheidet das bei Facebook oder anderen sozialen Medien, wann ein Posting strafbar ist?

Da ansonsten (beim Löschen nicht strafbarer Posts) vorherige Anhörungen erforderlich sind, wird es nach diesen Entscheidungen zukünftig aufwändiger sein und dementsprechend länger dauern, bis jemand bei Facebook gesperrt werden kann. Auch stellen sich viele Fragen: Wie und durch wen genau sollen diese Anhörungen vor Sperrungen erfolgen? Vermutlich und leider gibt es viel zu viele Fälle, um ihnen nachgehen zu können, es sei denn, Facebook stockt ordentlich Personal auf. Welche Qualifikation ist vonnöten, um nach Anhörungen für oder gegen eine Sperrung zu entscheiden? Nach welchen Maßstäben wird eine Entscheidung getroffen? Wie sollen die Anhörungen ablaufen, um nicht beanstandet werden zu können? Und schließlich: Legen wir für Demokratie und Rechtsstaat wichtige Themen wie die Meinungsfreiheit in die Hände eines maximal gewinnorientierten Unternehmens? Soll Facebook bestimmen dürfen, was okay ist und was nicht – und wenn ja, dürfen wir uns durch Facebook unterstützt fühlen beim Vorgehen gegen Hate Speech und dem Aufbau einer angemessenen Diskussionskultur – oder müssen wir um unsere Meinungsfreiheit fürchten?

* BGH, Urt. v. 29.07.2021, Az. III ZR 179/20 und III ZR 192/20

** Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021

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geschrieben von: Eva Schwarz

Als Volljuristin und Mitinhaberin einer Text- und Internetagentur ist der Weg zum Medienrecht recht kurz. Das 2021 erworbene Hochschulzertifikat "Internet- und Medienrecht" teert diesen Weg mit neuesten Kenntnissen in einem dynamischen Rechtsgebiet. Die gewaltfreie Kommunikation schätzt die zertifizierte Konfliktcoachin als neuen Weg für mehr Empathie und friedliches Miteinander auch in der digitalen Welt.

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